15.02.2022

Wie sich zwei Schiedsrichterinnen im rauen Männersport durchschlagen

Im Amateurfussball haben Unparteiische oft einen schweren Stand. Erst recht, wenn Frauen bei den Männern pfeifen. Seit Jahren trotzen zwei Schiedsrichterinnen den teils schwierigen Umständen.

(Quelle: Dominik Müller, Furttaler / Rümlanger / Unterland Zeitung)

Irren ist menschlich. Was in der Gesellschaft als selbstverständlich gilt, wird Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern im Fussball meist nicht zugesprochen. Ohne sie kann kein Spiel ausgetragen werden, da sind sich alle einig. Der Umgang mit ihnen im Amateursport lässt aber zuweilen aufhorchen: Von verbalen Entgleisungen bis hin zu körperlichen Attacken – immer wieder ist in den Medien von Gewalt gegen Unparteiische zu lesen. Die Vorfälle betreffen fast ausschliesslich den Männersport und nur selten den Frauenbereich. Souad Alfonz und Ilona Berger lassen sich davon nicht einschüchtern und greifen seit vielen Jahren leidenschaftlich zur Pfeife – im Männersport.
Seit fast 30 Jahren ist Ilona Berger (60) als Schiedsrichterin tätig. Die gebürtige Berner Oberländerin pfeift für den FC Rafzerfeld die Veteranen, nachdem sie jahrelang bei den Aktiven tätig war. «Geits denn no?», habe sie einst als Spielerin im Affekt zur Schiedsrichterin gesagt, als diese fälschlicherweise einen Elfmeter pfiff. Statt diese zu verurteilen, beschloss sie, selbst zu erleben, was es bedeutet, ein Spiel zu leiten. Souad Alfonz (53) ist seit 2008 für den FC Oberglatt in der 4. Liga als Unparteiische im Einsatz, auch sie war bis dahin als Spielerin auf dem Fussballplatz unterwegs. In einem ihrer Spiele habe eine Frau derart souverän gepfiffen, dass sie sich dachte: «Das will ich auch können.» Paradox: Vorher habe sie sich viel über die Schiris geärgert und regelmässig Karten kassiert.

«Schiri, geh zurück an den Herd»
Die beiden sind sich einig: Als Schiedsrichterin im Männersport braucht man eine dicke Haut. «Schiri, geh zurück an den Herd» oder «du hast keine Ahnung von Fussball» sind nur zwei von unzähligen Sprüchen, die sich Ilona Berger in ihrer langen Karriere schon gefallen lassen musste. «Das ist natürlich unschön, aber mit den Jahren habe ich gelernt, solche Dinge an mir abprallen zu lassen», sagt sie. Bei Souad Alfonz nahmen die Sprüche zuweilen gar rassistische Züge an: «Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist» oder sogar übelste Beleidigungen wie «du Tamilennutte» musste sie bereits ertragen. «Das schmerzt, aber man darf diese Aussagen nicht persönlich nehmen, auch wenn das einem nicht immer leicht fällt», sagt Souad Alfonz. Trotz aller Dreistigkeit der Spieler relativieren die beiden Schiedsrichterinnen: «Solche Sachen werden in den Emotionen auf dem Platz gemacht.» Beim Abbauen von Frust müssten oft die Unparteiischen als Sündenböcke herhalten und dann würden nun mal eben Dinge gesagt, die man im Alltag nicht von sich geben würde. In der Hitze des Gefechts sei es oftmals schwierig zu eruieren, von wem aus die Beleidigung kam. In diesem Fall kennt Souad Alfonz einen Trick: «Ich habe dem Nächstbesten die rote Karte gezeigt. Mannschaftsintern haben sie es dann solange geregelt, bis sich der wahre Schuldige zu erkennen gab.» Und auf die Aussage, ihre Leistung sei mies, antwortet sie jeweils kühn: „Ich pfeife so, wie du spielst.“
Physische Gewalt haben die Beiden bis anhin nicht erlebt, kritische Situationen aber allemal: Als Souad Alfonz einst von einer Mannschaft verteidigt wurde, nachdem das gegnerische Team sie beschimpfte, artete dies in einer Massenschlägerei aus. Ilona Berger liess sich nach dem Abpfiff eines Spiels einmal von Bekannten vom Feld eskortieren. «Ich hatte da einfach ein mulmiges Gefühl und wollte auf Sicherheit gehen.» Beide betonen aber: Solche Extremsituationen bilden die absolute Ausnahme. «Die Mehrheit der Spieler behandelt uns respektvoll», sagen beide. Und auch der Verband steht konsequent hinter den Unparteiischen und ahndet Verstösse mit Punkteabzügen bis hin zu Privatanzeigen. „Dieser Rechtsschutz gibt uns Sicherheit“, so Souad Alfonz.

Konsequent, glaubwürdig, freundlich
Um die Odnung zu erhalten, wissen sie, was zu tun ist. „Die ersten 20 Minuten eines Spiels sind entscheidend“, sagt Souad Alfonz, „sobald die Spieler merken, dass du keine klare Linie führst, hast die Spielkontrolle bereits verloren.“ Konsequent, glaubwürdig und freundlich – das seien die Zauberworte, um sich Respekt zu verschaffen. Allen könne man es sowieso nie recht machen. Ein wichtiger Aspekt ist die Art und Weise, wie eine Schiedsrichterin in die Pfeife bläst: „Ein lauter Pfiff sowie eine bestimmte Sprache sind sehr wichtig, um Selbstvertrauen zu signalisieren“, so Ilona Berger. Gleiches gelte auch für die Körpersprache: „Ein Schiri darf keine Schwäche zeigen, sonst wird das gnadenlos ausgenutzt.“ Sie sei früher schüchtern gewesen: „Ich habe auf dem Platz viel für das Leben und den Umgang mit Menschen gelernt.“ Auch das Alter habe einen Einfluss auf die Rolle auf dem Platz: Mit fortschreitender Lebenserfahrung sei die Akzeptanz gestiegen.
Dass sie als Frauen anders behandelt werden als ihre männlichen Kollegen, ist für Souad Alfonz und Ilona Berger eine Tatsache. „Wir müssen beweisen, dass wir auch als Frauen etwas von den Regeln verstehen“, so Souad Alfonz, „vor allem unsere physische Leistung wird kritisch beäugt.“ Und diese hat es in sich: Viel Kondition und überlegte Laufwege sind gefragt. Es helfe zwar, wenn man sich ligaintern mit der Zeit kenne und die Spieler bereits von den eigenen Qualitäten überzeugt sind, „aber trotzdem vermissen wir oft die Wertschätzung unserer Arbeit.“ Und zwar nicht nur diejenige der Spieler, auch Eltern und Trainer sind gemeint: „Wie der Trainer mit einem umgeht, überträgt sich auf seine Mannschaft“, sagt Souad Alfonz. Einmal hätte sie einem Coach die rote Karte zeigen müssen.

Mehr Schiedsrichterinnen erwünscht
Sie wünschten sich mehr Frauen im Schiedsrichterwesen. „Das würde die Sichtbarkeit und die Akzeptanz erhöhen“, sagt Ilona Berger. Sie selber ist in der Schiri-Ausbildung tätig. Aber wenn sie sehe, wie ein 16-jähriges Mädchen nach dem Spiel in der Kabine weine, weil sie sich vorher so einiges an Sprüchen an den Kopf werfen lassen musste, „dann ist das Thema für sie meist schon erledigt.“ Eine Schiedsrichterin kann auch ausschliesslich in Frauenligen pfeifen, aber wer Karriere machen will, der muss früher oder später in den Männersport wechseln.
Trotz aller Widrigkeiten: Ilona Berger und Souad Alfonz sind sehr gerne Schiedsrichterinnen. „Mir gefällt, dass ich eine wichtige Rolle für das Spiel einnehmen kann“, so Souad Alfonz. Für sie sei es eine willkommene Ablenkung vom Alltagsstress. Für Ilona Berger ist es mehr als ein Hobby: „Ich investiere viel Zeit, ich bin Schiri aus Leidenschaft.“ Die schönsten Momente erlebe man indes nicht zwingend während dem Spiel: „Wenn sich nach dem Match auch die unterlegene Mannschaft bei einem bedankt, ist das eine sehr schöne Bestätigung.“ Das gebe einem auch Mumm, um weiterzumachen. „Schiri, super gsi“ oder „gut gepfiffen, Schiri“ – es sind Sprüche wie diese, welche den ganzen negativen Lärm letztendlich übertönen. Und im Fall von Souad Alfonz sticht ein bestimmter Ruf heraus: Ihre zwei Töchter unterstützen ihr Mami jeweils mit einem besonders lauten „Hopp Schiri“.